Fischer: Hat Leistungserfassung etwas mit Pflegequalität zu tun?.

Z I M - Artikel NOVA 2/1998: S. 18-20 März 1998
Letzte Änderung: 30.08.2002


Hat Leistungserfassung etwas mit Pflegequalität zu tun?

Wolfram Fischer

Zentrum für Informatik und wirtschaftliche Medizin
CH-9116 Wolfertswil SG (Schweiz)
http://www.fischer-zim.ch/


      
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Übersicht

-   Einleitung

-   Erster Aspekt: Gibt es genügend Personal? (Strukturqualität)
-   Zweiter Aspekt: Tun wir das, was zu tun ist? (Prozessqualität)
-   Dritter Aspekt: Kostet es nicht zuviel? (Ergebnisqualität?)

-   Schlussbemerkungen  
 

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Einleitung

Allerorten werden Pflegeleistungserfassungssysteme und Patientenkategorisierungssysteme wie PLAISIR, BESA, BAK, LEP, PRN usw. in Betrieb genommen.1 Oft wird dies als einer der wesentlichen Schritte betrachtet, um den Vorschriften des neuen KVG\'s bezüglich Kostenrechnung, Leistungsstatistik und Qualitätssicherung genügen zu können. Im folgenden wird gezeigt, dass diese Annahme nur beschränkt richtig ist.

In diesem Artikel möchte ich näher darauf eingehen, welche Beziehungen zwischen der Leistungserfassung und Qualitätssicherungsprogrammen bestehen können. Es ist zunächst festzuhalten, dass Qualitätssicherung und Qualitätsförderung nicht mit der Leistungserfassung beginnt. Eine Leistungserfassung ist nicht einmal ein unabdingbares Instrument für die Qualitätssicherung. Um die Qualität der Pflegeleistungen beurteilen zu können, müssen deren wesentlichen "Eigenschaften und Merkmale" beschrieben werden können. Wesentlich sind diese Eigenschaften und Merkmale dann, wenn sie sich eignen, "festgelegte oder vorausgesetzte Erfordernisse" zu erfüllen.2 Die Leistungserfassung ist somit höchstens eines von vielen Gliedern in einem Qualitätssicherungssystem.

Gleichwohl deckt eine Leistungserfassung der Pflege gewisse Qualitätsaspekte ab. Die wichtigsten davon werden im Folgenden beschrieben.


1 Vgl. auch die Beiträge des gleichen Autors in NOVA 6/97: "Aufbruchstimmung im Gesundheitswesen. Leistungserfassung und Patientenklassifizierung in der Langzeitpflege" und "Leistungserfassung in der Langzeitpflege. Eine Kurzbeschreibung der Instrumente". Weitere Details sind in der bei H+ erschienenen Studie des Autors zu finden: Leistungserfassung und Patientenkategorisierung in der Pflege - Ein Überblick. Aarau 1995 (H+): 124 S. 3-9521232-7-7.

2 Vgl. dazu die ISO-Norm 8402, die Paul Baartmans in seinem Artikel in dieser Nummer für die Pflege ausformuliert hat. (NOVA 3/1998, S. 9-12)

 
 

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Erster Aspekt: Gibt es genügend Personal? (Strukturqualität)

Die primäre Aufgabe, für die ursprünglich Leistungserfassungssysteme in der Pflege eingesetzt wurden, war die Berechnung des Pflegepersonalbedarfs. Damit soll sichergestellt werden, dass die Patienten soviel Pflege erhalten, wie sie benötigen. Ein Pflegeaufwandmesssystem ermöglicht es, den Personalbestand in Abhängigkeit des Pflegebedarfs zu planen.

Die meisten Systeme schätzen die erforderliche patientenbezogene Pflegezeit durch eine Kalkulation. Bei PRN3 und LEP4 werden dazu die erforderlichen bzw. die erbrachten einzelnen Pflegeleistungen erfasst. Jeder Pflegeleistung ist eine Vorgabezeit zugeteilt. Z.B. sind im System LEP für die Position "Körperpflege mit Hilfe" pro Tag 30 Minuten vorgesehen. Die nicht-patientenbezogenen Personalzeiten werden auf unterschiedliche Weise zur patientenbezogenen Pflegezeit hinzugeschlagen. Das Resultat der Berechnungen ist schliesslich der Bedarf an Pflegepersonal pro Station und Tag.

Andere System wie z.B. BESA5 arbeiten mit etwas gröberen Leistungsbündeln, die gepunktet werden. Die Summe der Punkte wird in Klassen eingeteilt (bei BESA sind dies die BESA-Grade 0 bis 4). Jeder Klasse wird anschliessend ein Zeitaufwand je 24 Stunden zugeordnet (z.B. entspricht der BESA-Grad 3 einem Zeitaufwand von 2 - 2½ Stunden pro Tag).

Um den Personalbedarf zu ermitteln, werden die auf diese Art berechneten und anschliessend summierten Zeiten in sogenannte Vollzeitstellen umgerechnet. Diese Zahlen können für die kurzfristige Planung von Tag zu Tag bzw. von Woche zu Woche oder auch zur Berechnung des Stellenbudgets verwendet werden.

Zur Überprüfung der Strukturqualität kann nun darauf geachtet werden, dass der mittels einem Leistungerfassungssystem ausgewiesene Personalbedarf gedeckt ist.

Aus der Sicht der Qualitätssicherung muss allerdings nun eine wichtige Einschränkung festgehalten werden: Wenn der Personalbedarf nur in Form von Vollzeitstellen angegeben wird, sind die Anforderungen an die notwendigen Qualifikationen noch nicht bestimmt. Um die Dienstpläne und Stellenbudgets zu erstellen, muss aber auch der "Personalqualifikations-Mix" bekannt sein. Und dieser hat bekanntlich nicht nur Auswirkungen auf die Qualität, sondern natürlich auch auf die Kosten! -

Die Frage der Qualifikation kann aber auf eine andere Art zur Sprache kommen: Bei Systemen, die - wie PLAISIR6, PRN und LEP - eine Erfassung einzelner Tätigkeiten vorsehen, kann darauf geachtet werden, dass bestimmte Tätigkeiten auch ein bestimmtes Qualifikationsniveau voraussetzen. (Ein Beispiel dafür ist "Infusion anlegen".) Wenn aus der Statistik ersichtlich wird, dass anspruchsvolle Tätigkeiten sehr häufig anfallen, dann muss der notwendige Qualifikations-Mix entsprechend angepasst werden.


3 PRN = Projet de Recherche en Nursing, Kanada (Québec).

4 LEP = Leistungserfassung in der Pflege (ehemals SEP und PAMS), Schweiz.

5 BESA = Bewohnerinnen-Einstufungs- und Abrechnungssystem, Schweiz.

6 PLAISIR = Planification informatisée des soins infirmiers requis, Kanada (Québec).

 
 

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Zweiter Aspekt: Tun wir das, was zu tun ist? (Prozessqualität)

Es erscheint mir besonders wertvoll, dass durch Einsatz jener Leistungserfassungssystemen, die einzelne Leistungen patientenbezogen erfassen, entscheidende Diskussionen im Pflegeteam und auch im interdiszipliären Team ausgelöst werden können. Diese Diskussionen dürfen nicht mit falscher Scheu angegangen werden, denn hier liegen wesentliche Möglichkeiten, Qualitätsfragen konkret zur Sprache zu bringen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Leistungserfassungssysteme dokumentieren die geplanten bzw. die erbrachten Leistungen je Patient. Nun können Patienten mit gleichen Krankheitsbildern verglichen werden: Welche Leistungen wurden üblicherweise erbracht? (Gibt es solche überhaupt?) Welche Leistungen wurden nur sporadisch angewandt? In manchen Fällen ermöglichen solche Auswertungen, typische Behandlungspfade zu ermitteln. Des öftern zeigen sie jedoch auch auf, wie gross die Variabilität der Leistungen ist. Damit versetzen sie insbesondere Angehörige anderer Berufsgruppen ins Staunen. Aber auch die Pflegenden selbst haben sich die Frage zu stellen: Woher kommt diese Variabilität? Es gibt zwei Stossrichtungen, nach einer Antwort zu suchen:

Die Leistungserfassung verbessert die Prozessqualität dann, wenn sie Anstoss dazu gibt, die Behandlungen zu optimieren. -

Es ist nun wichtig, festzuhalten, dass eine solche Prozessoptimierung wiederum nur ein Teilaspekt von Prozessqualität ist: Mit einer Leistungserfassung wird es zwar möglich, die erbrachten Leistungen zu benennen, zu zählen, zu diskutieren und zu optimieren. Die einzelnen Tätigkeiten selbst werden jedoch bezüglich ihrer Qualität nicht beurteilt. Dazu braucht es andere Instrumente.


7 Konkret wurden die Fähigkeitseinschränkungen mit dem FIM (Funktionaler Selbständigkeitsindex) festgehalten. Im TAR-Projekt wurde aufgrund einer Erhebung in vier Rehabilitationskliniken bei 274 Patienten mit 1716 Behandlungswochen eine Pflegekostenklassifikation mit 6 Pflegekostenkategorien definiert, welche ca. 65% des Pflegeaufwandes zu erklären vermag. Näheres dazu wird im Verlaufe des Frühjahrs 1998 publiziert werden. Ein kurzer Überblick über das Projekt TAR (= Leistungsbedarfsbezogenes Tarifsystem für Rehabilitationskliniken) ist zu finden in Fischer: Patientenklassifikationssysteme - Prinzipien und Beispiele. Bern und Wolfertswil 1997 (978-3-9521232-2-5), S. 336f.

 
 

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Dritter Aspekt: Kostet es nicht zuviel? (Ergebnisqualität?)

Und wie steht es mit der Ergebnisbeurteilung? Bestimmt beurteilt eine Leistungserfassung nicht die Gesamtqualität der Arbeit. Es kann also weder beurteilt werden, ob die Pflegeziele sinnvoll gesetzt worden sind, noch ob sie erreicht worden sind.

Dafür liefert die Leistungserfassung eine neue, zusätzliche Aussage zum Ergebnis: Es können nun die Kosten pro Patient kalkuliert werden. Dies ist zwar kein Ergebnis bezüglich der fachlichen Qualität der Pflege. Aber es ist doch auch eines der Merkmale, die als Anforderungen an die Behandlung gestellt werden. Zumindest in Zukunft wird dieses Ergebnismerkmal von viel entscheidenderer Bedeutung sein als heute.

Dass die Kosten nun bekannt sein werden, hat natürlich auch eine Kehrseite: Was passiert, wenn das Budget so knapp wird, dass nicht mehr alle Leistungen, die von der Pflege als notwendig deklariert worden sind, ausgeführt werden können...?

Vor dem Hintergrund der Kostenfrage wird es nun doppelt wichtig, die Leistungen der Pflege zu zeigen und zu begründen. Die zusätzliche Dokumentation der Pflegeprobleme und deren ursächlichen Faktoren, der Pflegeziele und der Pflegeergebnisse erhält in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. Dies kann eine Hilfe sein, die Notwendigkeit und evtl. auch die Wirksamkeit der Pflege darzulegen.

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Schlussbemerkungen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Leistungserfassung in der Pflege in der Lage ist, die Beurteilung einzelner Qualitätsaspekte zu unterstützen. Durch die damit einhergehende bessere Dokumentation werden bestimmt gute Fragen im Pflege- und Behandlungsteam fundiert zur Sprache gebracht werden können.

Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Qualität der Leistungserfassung selbst gut ist: Wurden die Leistungen korrekt und vollständig erhoben? Würde eine Erhebung, die testeshalber doppelt von zwei unabhängigen Pflegekräften durchgeführt wird, zum gleichen Ergebnis führen?

Die Herausforderung für die Pflege besteht darin, dass sie nicht in erster Linie all den von aussen gestellten Anforderungen gerecht wird, sondern dass sie sich die wesentlichen Fragen zum eigenen Anliegen macht. Dazu gehört die Frage nach der Wirksamkeit der Pflege ebenso wie die Frage nach dem rechten Mass an Wirtschaftlichkeit. Wenn sich diese Fragen im Pflegealltag wirklich "niedergelassen" haben, wird die Pflege ihre Anliegen überzeugend in die Diskussion um die Neuausrichtung des Gesundheitswesens einbringen können.

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( Letztmals generiert: 27.04.2010 )