Fischer: DRG-Systemmodifikationen zur Reduktion der Vergütungsfehler.
Ein Vorschlag von Marazzi et al. für ein alternatives DRG-Vergütungsschema.

Z I M - Notiz DRG       März 2007


DRG-Systemmodifikationen zur
Reduktion der Vergütungsfehler

Wolfram Fischer

Zentrum für Informatik und wirtschaftliche Medizin
CH-9116 Wolfertswil SG (Schweiz)
http://www.fischer-zim.ch/


Ein Vorschlag von Marazzi et al. für ein alternatives DRG-Vergütungsschema

      
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Ziel
Negative Anreize zur Patientenselektion und Aufenthaltsdauer­verkürzung verringern

Kostenrelevante Informationen, welche von DRG-basierten Vergütungssystemen nicht abgebildet werden, können zur Patientenselektion ausgenutzt werden. Ausserdem ermuntern Vergütungen, die unabhängig von der Aufenthaltsdauer erfolgen, zu verfrühten Entlassungen.

1 Marazzi et al. [Reimbursement Schemes, 2006].

 

Um solche negativen Anreize zu dämpfen, schlugen Marazzi et al. vor, zusätzlich zur DRG-Fallpauschale Anteile von aussergewöhnlich hohen Kosten sowie eine niedrige, konstante Tagespauschalen zu vergüten.1 Ziel ist es, die Differenzen zwischen Vergütung und Kosten zu verringern.

 

 

Vorschläge
Tagespauschale unter den Grenzkosten (z. B. CHF 200)

Eine Tagespauschale kann dazu verleiten, Patienten länger als nötig zu behandeln. Damit dies nicht geschieht, sollte der tagesfix vergütete Betrag unter den marginalen Kosten pro Tag liegen (d. h. unter jenen Kosten, welche für einen «gesunden Patienten» entstehen würden). Marazzi et al. schlagen als Beispiel einen Betrag von CHF 200 vor.

Extremkosten zu (z. B.) 95 % vergüten

Um zu verhindern, dass Patienten mit möglicherweise zu erwartenden aussergewöhnlich hohen Kosten schon zum vorneherein abgewiesen werden, schlagen Marazzi et al. eine Art «stop loss»-Regel vor: Kosten, welche die DRG-Pauschale um einen gewissen Betrag überschreiten, sollen zu einem vereinbarten Prozentsatz (z. B. 95 %) vergütet werden. Unabhängig von den DRGs wurde für alle Behandlungsfälle ein einheitlicher Schwellwert berechnet. Die Kostengrenze für die einzelne DRGx liegt somit bei: Fallpauschale von DRGx + fixer Schwellwert für Extremkosten. Der Schwellwert wurde so hoch angesetzt, dass damit eine im Voraus bestimmte Anzahl Ausreisser abgedeckt wird. (Im Beispiel von Marazzi et al. sind es 1000 Fälle bzw. 0.8 % der verwendeten Stichprobe, also ein für DRG-Verhältnisse sehr kleiner Anteil.)

Reduktion des mittleren absoluten Vergütungs­fehlers

Da bei der Berechnung der Varianzreduktion die Differenzen zu den Mittelwerten quadriert werden, reagiert diese besonders empfindlich auf extreme Ausreisser. (Dies gilt auch für die in der Studie berechnete «Reduktion der mittleren quadrierten Vergütungsfehler».) Um einer solchen möglicherweise irreführenden Beurteilung entgegen zu wirken, wurde von Marazzi et al. ein Mass eingeführt, welches mit den absoluten Differenzen zu den Mittelwerten arbeitet. Sie nannten es «Reduktion des mittleren absoluten Vergütungsfehlers» («reduction in mean absolute reimbursement error»).

Tafel 1:
Resultate

System
R2
BISHER:
Rr2

RrA

ø Fehler
NEU:
Rr2
 
RrA
 
ø Fehler
 
Extrem-
kosten-
schwellwert
AP-DRG 0.49 0.38 0.37 5'112 0.88 0.57 3'469 30'905
IR-DRG 0.48 0.44 0.38 5'095 0.88 0.56 3'563 29'715
APR-DRG 0.61 0.39 0.40 4'922 0.88 0.58 3'433 29'460
AR-DRG 0.48 0.41 0.37 5'103 0.87 0.57 3'543 31'470
SQLape -- 0.55 0.42 4'726 0.88 0.59 3'338 27'272
 

 

Resultate
Verringerte Diskrepanz zwischen Kosten und Vergütung

Während es sich in der Studie von Marazzi et al. herausstellte, dass eine höhere Anzahl von Patientenkategorien nicht automatisch zu einer besseren Schätzung der Kosten führt, verringerte sich mit dem vorgeschlagenen Vergütungsschema die Differenz zwischen Kosten und Vergütung in allen untersuchten Patientenklassifikationssystemen (unabhängig von der Anzahl DRGs) deutlich.

Reduktion des mittleren Vergütungsfehlers ohne neues Modell: 37 % – 42 %

[Tafel 1] Die Reduktion der mittleren quadrierten Vergütungsfehler [Rr2] lag ohne Berücksichtigung des neuen Vorschlages zwischen ca. 38 % (bei der Benutzung von AP-DRG und APR-DRG) und 55 % (bei der Benutzung von SQLape). Die Reduktion der mittleren absoluten Vergütungsfehler [RrA] lag zwischen ca. 37 % (mit AP-DRG, IR-DRG oder AR-DRG) und 42 % (SQLape).

Reduktion des mittleren Vergütungsfehlers bei Anwendung des neuen Modelles: 57 %

Bei Anwendung des neuen Vorschlages lag die Reduktion der mittleren quadrierten Vergütungsfehler [Rr2] für alle Patientenklassifikationssysteme bei ca. 88 %. Auch bezüglich der Reduktion der mittleren absoluten Vergütungsfehler [RrA] unterschieden sich die untersuchten Patientenklassifikationssysteme kaum mehr: Die Reduktion lag bei ca. 57 %.

 

 

Kommentar
Neue Beurteilungskriterien

In der Studie von Marazzi wird vorgeschlagen, zur Beurteilung eines Patientenklassifikationssystems nicht einfach wie üblich die Varianzreduktion der Kosten zu messen, sondern die Vergütungsfehlerreduktion. Dieser Ansatz kommt der Wirklichkeit näher, denn auf diese Weise werden die Ausreisser nicht einfach weggetrimmt, sondern entsprechend der für sie vorgesehenen Vergütungen berücksichtigt. Ausserdem ist Wert der Vergütungsfehlerreduktion direkt interpretierbar: Es ist der durchschnittliche Betrag, um den Vergütung und Kosten voneinander abweichen. Gemessen wird er also z. B. in CHF oder €.

 

Zusätzlich wird mit der «Reduktion des mittleren absoluten Vergütungsfehlers» ein Mass vorgeschlagen, das nicht überproportional auf Fehler bei Ausreissern reagiert.

Neues Vergütungsschema

Die präsentierten, relativ hohen Werte der Vergütungsfehlerreduktionen machen das vorgeschlagene Vergütungsschema attraktiv. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man bedenkt, dass diese Werte anhand ungetrimmter Daten berechnet wurden.

2 Eine geschätzte durchschnittliche Tagesvergütung von CHF 1'000 ergibt sich aus einem Basispreis von CHF 8'400 dividiert durch eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 8.3 Tagen. – Für 2006 betrug der kalkulierte Basispreis für nicht-universitäre Spitäler CHF 8'425. (Er wurde berechnet aufgrund von Kostendaten aus den Jahren 2001 bis 2003; vgl. APDRG-CH [CW 5.1, 2005]: 12.) Eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 8.3 Tagen galt für 2004. Die Angabe stammt aus BFS-CH [MS/04 kurz, 2006]: 14.

3 Für 2006 betrug der kalkulierte Basispreis für nicht-universitäre Spitäler CHF 8'425. Vgl. APDRG-CH [CW 5.1, 2005]: 12.

 

Grundsätzlich erstaunt es zwar nicht, dass sich eine Vergütung den Kosten besser anpassen kann, wenn sie die tatsächlichen Aufenthaltsdauern und die Extremkosten berücksichtigt. Was aber beeindruckt, sind die gewählten Werte für die zusätzliche Tagesvergütung und für den Schwellwert zur Definition von Extremkosten. Eine Tagesvergütung von CHF 200 ist relativ klein: Sie beträgt ungefähr ein Fünftel der geschätzten durchschnittlichen Tagesvergütung.2 Ein Schwellwert von CHF 30'000 oberhalb der DRG-Pauschale zur Bestimmung der Extremkosten ist relativ hoch: Er liegt bei einem zusätzlichen Kostengewicht von fast +4.3

 

Dadurch, dass die die Kostengrenze übersteigenden Extremkosten im Modell zu 95 % vergütet werden, wird der maximale Verlust in jeder DRGx begrenzt auf: Schwellwert plus 5 % der Kosten, welche die Summe von der Fallpauschale von DRGx und dem Schwellwert übersteigen.

 

Insgesamt ist der vorliegende Vorschlag sehr interessant, denn eine abgefederte Vergütung setzt weniger Fehlanreize und ist schlussendlich für die Verhandlungspartner befriedigender: Einerseits werden die Leistungen der Leistungserbringer besser respektiert und andererseits wird trotzdem nicht auf Anreize zur Kostenreduktion verzichtet.

 

Die hier vorgeschlagenen Modellparameter sind natürlich noch für grössere Stichproben neu zu berechnen. Auch könnte überlegt werden, ob es Sinn macht, die zusätzliche Tagespauschale DRG-abhängig zu gestalten.

4 So der Untertitel zu: Fischer [GDRG-Verständlichkeit, 2007].

Alternative zur immer zunehmenden Komplexität?

Angesichts der zunehmenden «statistischen Optimierung» mancher DRG-Systeme «zu Lasten fachsprachlicher Verständlichkeit»4 könnten modulare Systeme wie das hier vorgeschlagene helfen, nicht nur die z. T. überbordende Komplexität neu konstruierter DRGs zu reduzieren, sondern DRG-Systeme wieder verständlicher und damit auch brauchbarer und akzeptabler zu machen.

 

 

 

Literaturverzeichnis

APDRG-CH
CW 5.1
2005
APDRG Schweiz. Kostengewichte und Swiss Payment Groups Version 5.1. Ecublens (AP DRG Schweiz) 2005: 24 S. Internet: http:// www.apdrgsuisse.ch / public / de / o_rapport_cw_v51a_d.pdf.
BFS-CH
MS/04 kurz
2006
Bundesamt für Statistik. Spitalaufenthalte im Überblick. Ergebnisse aus der Medizinischen Statistik 2004. Neuchâtel 2006: 20 S.
Fischer
GDRG-Verständlichkeit
2007
Fischer W. Sprechen Sie G-DRG?. G-DRG 2007: Statistische Optimierung zu Lasten fachsprachlicher Verständlichkeit. In: Streiflicht Z I M 2007(15)1. Internet: http:// www.fischer-zim.ch / streiflicht / GDRG-2007-Sprache-0701.htm.
Marazzi et al.
Reimbursement Schemes
2006
Marazzi A, Gardiol L, Duong HD. New Approaches to Reimbursement Schemes Based on PCSs and their Comparison. In: Revue économique et sociale, Lausanne 2006(64)special issue: 83–93. Internet: http:// www.iumsp.ch / Unites / us / Alfio / drafts / ArticleRevue.pdf.

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( Letztmals generiert: 28.06.2013 )